28. April 2023
Die Gemeinschaftspraxis in der Gründung
Gerechte Lösungen bei der Auseinandersetzung einer Praxis sind schwer zu finden, da die finanzielle Abhängigkeit
der Gesellschafter von den Bezügen aus der Gesellschaft, ihre Lebensorientierung und ihre persönlichen
Lebenshaltungskosten oft stark verschieden sind. Der Anwalt, der den Gesellschaftsvertrag für eine
Berufsausübungsgemeinschaft
zu entwerfen hat, muss sich überlegen, ob eher dirigistische oder eher marktwirtschaftliche Regelungen angebracht
sind, die die Entnahmen begrenzen. Beispiele dafür sind feste Beträge oder Prozentanteile oder der zahlenmäßig
definierte persönliche Bedarf der Gesellschafter für den laufenden Lebensunterhalt.
Eine marktwirtschaftliche Regelung knüpft an höhere Entnahmen und die entsprechende Belastung des
Gesellschafterkontos ungünstige Folgen für den Erwerber, während sie niedrigere Entnahmen belohnt. Dadurch wird
das wirtschaftliche Interesse der Gesellschafter entscheidungserheblich; die indirekte Einflussnahme mittels
weitgefasster Rahmenbedingungen ist insoweit der bessere Weg.
Die Gewinnbeteiligung variiert von Jahr zu Jahr entsprechend dem durch die Höhe der Entnahmen jährlich geänderten
Gesellschafterkonto. Es ist also keine feste Gewinnbeteiligung, sondern eine, die an die wechselnde Höhe des
Gesellschafterguthabens gekoppelt ist, so dass sich der Gesellschafter überlegt, ob er sich nicht selbst schadet,
wenn er seine Entnahmemöglichkeit voll ausschöpft. Bedenken muss der die Gemeinschaftspraxis beratende Rechtsanwalt
auch die Nachteile dieser letzteren Regelung; in Perioden hoher Gewinne könnte sie den kapitalstarken
Gesellschafter verleiten, durch fehlende Entnahmen sein Übergewicht über die
Gebührenordnung
zu steigern.
Ein junger Arzt gründet unter dem Eindruck der zeitweilig hohen Erfolge von Unternehmen der Gesundheits-Industrie
mit kleinstem Kapital ein eigenes medizinisches Versorgungszentrum, jedoch unter Beteiligung von angestellten
Ärzten, die ihr Kapital einbringen. Der Anwalt entwirft dann einen Gesellschaftsvertrag, der wie dargestellt die
Steigerung des Eigenkapitals begünstigen soll. Die Praxis erzielt unvorhersehbar hohe Gewinne, namentlich eine
nachhaltige Rendite von über 30%. Die Gesellschafter entnehmen die Beträge, die sie zur Deckung ihrer auf ihre
Gewinne entfallenden Einkommensteuern benötigen, und sie entnehmen routinemäßig weitere Gewinnanteile für ihren
Verbrauch. Der Arzt entnimmt nichts und beschafft sich die benötigten Mittel, auch für die von ihm zu zahlenden
Steuern, durch einen privaten Bankkredit seiner Bank. Mit dem Anwachsen des Eigenkapitals steigert er seine
prozentuale Beteiligung und damit seinen Gewinnprozentsatz zu Lasten seiner Mitgesellschafter, was diese nach
einigen Jahren zur Kündigung der Berufsausübungsgemeinschaft veranlasst.
Unternehmerische Gesichtspunkte
Der angestellte Arzt glaubte sich gerechtfertigt durch Einsatz und unternehmerische Leistung, was eine schwierige
Situation für den beratenden Anwalt darstellen kann. Sie übersteigt in vielen Fällen seine Fähigkeit, so überaus
differenzierte Probleme den Beteiligten verständlich zu machen. Wie immer gilt bei Begründung und Kündigung eines
Vertrages über
ärztliche Zusammenarbeit:
Eine einzelne Vertragsbestimmung kann eine ganze Reihe von unerwünschten
Auswirkungen haben. Werden den Mandanten alle möglichen Auswirkungen vor Augen geführt, so erkennen diese
möglicherweise, dass die Gründung einer Gemeinschaftspraxis oder die fristgerechte oder fristlose Kündigung
derselben nicht immer mit den Anforderungen des Vertragsarztrechts vereinbar sind.
Schließlich sind der Berücksichtigung medizinischer Entwicklungen auch dadurch Grenzen gesetzt, dass der für
die Zusammenarbeit entworfene Vertrag textlich überschaubar und in den Auswirkungen abschätzbar sein muss.
Noch mehr als bei den Entnahmen treten beim Ausscheiden einzelner Gesellschafter wirtschaftliche Interessen
in den Vordergrund. Schon die Voraussetzungen der Kündigung greifen in persönliche Fragen ein. Es ist unklar,
wann ein Gesellschafter sein Ausscheiden durch eine Kündigung herbeiführen kann, und wann er ausnahmsweise auch
selbst von den anderen Gesellschaftern gekündigt werden kann.
Bei den Konsequenzen des Ausscheidens treten Interessengegensätze zwischen der Gesellschaft und dem einzelnen Arzt
auf; die Höhe des
Abfindungsbetrags
und das Auseinandersetzungsguthabens müssen nach der Ertragswert-Methode ermittelt werden. Die für die einzelnen
Vermögenswerte unterschiedlichen Risiken sind dann gegeneinander abzuwägen.